sehnsucht


 

 

er freute sich auf seinen nahenden urlaub. auf die reisevorbereitungen, den flug, das warme land und – auf das meer.

das meer.

es hatte etwas besonderes. gab ihm kraft. weckte die lebensenergie in ihm. ließ ihn den alltag vergessen. wusch die sorgen von ihm ab und spülte sie einfach davon.

die arbeit machte ihn bereits schneller müde, als es noch vor jahren der fall war. viel früher begann er sich schon auf das meer zu freuen – wurde die sehnsucht danach in ihm geweckt.

 

an einem ort direkt am meer würde er seinen letzten lebensabschnitt verbringen wollen. das wusste er, das spürte er. kein anderer ort würde ihm mehr kraft, mehr freude geben können.

so richtete er schon seit jahren alles darauf aus, vorerst seinen urlaub und dann schließlich seinen lebensabend dort verbringen zu können.

 

er arbeitete viele stunden zusätzlich, um genügend geld auf die seite zu legen, damit seine urlaubsaufenhalte auch wirklich speziell werden würden. urlaube, in denen es an nichts fehlen sollte. wo er sich einfach zurücklehnen, alles hinter sich lassen und hingeben konnte.

genauso stellte er es sich auch für seine zukunft vor. ein kleines häuschen am meer. sich zurücklehnen, alle sorgen hinter sich lassen und es einfach nur genießen.

 

dieser gedanke bereitete ihm immer wieder freude und gab ihm energie der anstrengenden mehrarbeit, die er hatte, gewachsen zu sein.

dennoch merkte er, wie er langsam immer mehr seine einsatzfreude verlor.

schließlich hatte er noch etliche jahre vor sich, bevor er sich tatsächlich zur ruhe setzen und seinen traum verwirklichen konnte.

 

auch an diesem tag kam er sehr erschöpft aus der arbeit, setzte sich auf seinen balkon, streckte seine beine von sich, schloss seine augen und richtete seine innere aufmerksamkeit sehnsüchtig richtung meer.

er konnte das rauschen des meeres förmlich hören, die frische meeresluft riechen, die energie spüren, die vom unendlichen blau ausging.

plötzlich wurde er durch ein ohrenbetäubendes grollen von seiner gedankenreise auf seinen balkon zurückgeholt.

es war ein donnergrollen ohne regen, aber die elektrische aufladung war deutlich zu spüren und auch zu riechen. der himmel über ihm war blau, doch in der ferne – nahe der berge – war er dunkel und fäden, die den himmel mit der erde verbanden waren sichtbar. regen, der im übergangsbereich zwischen dem dunkel und dem blau des himmels einen regenbogen entstehen ließ. dieser erhob sich aus dem nichts in den himmel bog sich im zenit wieder gegen die erde und verschwand in einem gebirgszug, den er aus seiner jugendzeit gut kannte.

dort hatte er viele stunden verbracht und genoss jede wanderung in der natur.

damals hatte er das gefühl, dass die natur – das gebirge – sein energiespender war. und das war sie tagtäglich.

er hatte es vergessen.

 

dieses wunderschöne bild der gegensätze hatte die natur für ihn gemalt. mit einem lauten grollen machte sie ihn wieder aufmerksam für die gegenwart. holte ihn zurück aus seiner traumreise und ließ verdeckte gefühle erneut aufleben.

 

er könnte hier – zuhause - jederzeit energie tanken, wenn es notwendig würde. musste nicht zusätzliche stunden arbeiten, um für die zukunft etwas zu schaffen.

könnte sich schonen und diese stunden bereits hier für sich nützen.

er hatte hier eigentlich schon alles, was ihn glücklich machen konnte.

 

er setzte sich in seinem sessel auf, stellte seine beine auf den boden und erfreute sich am schauspiel, das die natur für ihn inszeniert hatte.

 

 

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